Die letzte Station unserer Reise nach Syrien brachte die schmerzlichsten Erfahrungen, aber auch die meisten Überraschungen. Die Kriegswunden sind noch überall zu sehen. Trotzdem will Aleppo die Wunden heilen, damit die Stadt noch schöner wird als zuvor. Die Straße nach Damascus ist ein langer Weg, die Autobahn ist unterbrochen, und man muss durch kurvenreiche Nebenstraßen, denn das ist der einzige Weg in die Hauptstadt des Nordens. Es regnet bei unserer Ankunft, was ein Segen ist für diese dürren Gegenden, aber die Regentropfen auf den verstaubten und verlassenen Möbelstücken in den zerstörten Häusern ergeben ein sehr trauriges Bild.
Wir gehen einige Meilen durch eine Trümmerlandschaft, ehe wir die Pfarrei des Heiligen Franziskus erreichen, wo uns die Brüder mit einer Freude begrüßen, die uns jedes Mal beeindruckt. Es sind nur ein paar Monate seit unserem letzten Besuch vergangen, aber die Stadt hat sich sehr verändert. Die Einwohner von Aleppo sind zurückgekehrt, um hier wieder sesshaft zu werden. Die schmutzigen und zerstörten Straßen sind mit alten und wackeligen Autos verstopft, aber das ist ein gutes Zeichen: es gibt wieder Benzin. Und ständig wird gehupt. Sogar die Lichter, die wieder in den Häusern brennen, sind ein großes Zeichen der neugeborenen Hoffnung in der dunklen Trümmerstadt.
Aleppo ist eine Stadt, die trotz allem nie schwach wurde. Die vielen Geschichten von Mut und von Hoffnung, denen wir unterwegs begegnet sind, geben Licht in eine Zukunft, die heute weniger düster und ein bisschen heller zu sein scheint. In dem Stadtviertel Azizieh (hier befindet sich die Pfarrei, und hier ist der Mittelpunkt unserer Aktivitäten) besuchen wir die Konditorei, die Khalil eröffnet hat. Und ein paar Meter weiter nach Georgs neuem Eisenwarengeschäft gibt es direkt neben der Pfarrkirche sogar eine Imbissstube.Vor einigen Monaten waren die Fensterläden geschlossen, heute sind diese Geschäfte das Zeichen eines langsamen aber stetigen Aufschwungs.
„Die Menschen brauchen Arbeit. Bei uns sind 400 Anfragen diesbezüglich eingegangen. Wir arbeiten zielbewusst, damit alle – wer immer das auch sein mag – in Würde leben und arbeiten können.“. Pater Ibrahim Alsabagh, der Pfarrer der Lateiner in Aleppo, berichtet von einem Projekt, das zusammen mit ATS pro Terra Sancta ins Leben gerufen wurde. Sie haben sich vorgenommen, den Interessenten Kleinkredite zu ermöglichen, damit sie neue Betriebe (Startups) eröffnen können. „Die übliche Vorgehensweise ist die: Die Interessenten stellen die Anträge, danach wählen wir ein paar aus und geben ihnen eine Chance. Es ist nicht einfach für sie, sie stehen oft vor großen Herausforderungen, aber sie haben einen fast heldenhaften Mut, wenn es darum geht, sich in diese Geschäfte zu stürzen“, erzählt uns der Pater.
Innerhalb von zwei Tagen kann man kaum alles besichtigen, was Pater Ibrahim und seine „Maschine der Liebe“ für diese Stadt bewirken. Bis heute bekommen mehr als 2.000 Menschen Hilfe von der Pfarrei in Form von vielen Aktivitäten. Es gibt die Schule für Taubstumme im College Al Ram und die von den Mitarbeitern der Pfarrei neu sanierten Häuser (hier erfahren Sie mehr über das Projekt ). „Bei uns sind 900 Anfragen eingegangen, bis heute haben wir aber erst 90 Häuser saniert“ sagt Noubar, einer der Projektingenieure.
Das ist natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber dieser Tropfen hat Aleppo nötig, damit die Stadt nicht verdurstet. Das Glas ist halb voll, stellen wir beim Anblick der lächelnden Gesichter während unseres Rundgangs fest.
Die Einwohner von Aleppo sind allen Menschen sehr dankbar, die ihnen während der Kriegsjahre geholfen haben. Jetzt stehen sie in den Startlöchern und wollen, dass es wieder losgeht.
Sie geben nicht auf, sie wollen laufen. Sie wollen das Rennen in die neue Zukunft gewinnen!